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Totipotenz, Pluripotenz und Multipotenz

Die Begriffe Totipotenz, Pluripotenz und Multipotenz werden in der naturwissenschaftlichen Literatur uneinheitlich verwendet und sollen hier ausführlich beschrieben werden.

Definitionen

  • Totipotenz in der klassischen Embryologie: Die Fähigkeit einer Zelle, sich aus sich selbst heraus zu einem ganzen Individuum zu entwickeln.
  • Pluripotente Zellen dagegen lassen sich im Sinne der klassischen Embryologie zwar zu jeglichem Zelltyp eines Organismus differenzieren und können zahlreiche Zellen, Gewebe oder Organe entwickeln, jedoch nicht aus sich heraus ein intaktes Individuum bilden.
  • Pluripotenz in der Forschung an Zellen der Maus: Die Fähigkeit einer Zelle, sich nach der Injektion in fremde Blastozysten an der Bildung aller Gewebe einschließlich der Keimbahn zu beteiligen.
  • Multipotenz: Die Fähigkeit einer Stammzelle, sich in verschiedenste Zellen (meist eines Keimblattes) aber nicht mehr in alle Zelltypen eines Organismus, zu differenzieren.

Totipotenz im deutschen Recht

Im Embryonenschutzgesetz (ESchG) werden Embryonen und einem Embryo entnommene, totipotente Zellen (die sich zu einem Individuum entwickeln können) rechtlich gleichgestellt. Dabei wird Totipotenz im Sinne der klassischen Embryologie als Fähigkeit zur Ganzheitsbildung, das heisßt zur Bildung eines Individuums, verstanden. Da man nicht überprüfen kann, ob totipotente Zellen wirklich ein lebensfähiges Individuum bilden können (das Klonen von Menschen ist in den meisten Ländern gesetzlich streng verboten), müssen Ergebnisse aus Versuchen mit tierischen Embryonen auf den Menschen übertragen werden.

Pluripotenz von embryonalen Stammzellen

Man geht davon aus, dass nur die befruchtete Eizelle und die Zellen der ersten Teilungsstadien totipotent sind und dass sich im Gegensatz dazu embryonale Stammzellen nicht in ein Individuum weiterentwickeln können. Sie werden demzufolge als pluripotent eingestuft.

Auch wenn humane embryonale Stammzellen unter bestimmten Wachstumsbedingungen auch Zellen des Trophektoderms, also die Zellschicht welche die Blastozyste umhüllt, bilden können, trifft die klassische Definition der Totipotenz nicht zu: Denn das Kriterium, dass die zeitliche und räumliche Entwicklung aus sich selbst heraus geschieht, wird nicht erfüllt.

Totipotenz und Pluripotenz von reprogrammierten adulten Stammzellen

Seit man das Verfahren der Reprogrammierung von adulten Stammzellen kennt, wird die Definition für Totipotenz aus der klassischen Embryologie in Frage gestellt. Bei der Reprogrammierung mittels Kerntransfers („Dolly-Methode“) werden Zellkerne aus normalen Körperzellen in ein früheres Entwicklungsstadium zurückversetzt, indem unterschiedliche Gene aktiviert bzw. deaktiviert werden. Als totipotent ist dabei nicht die Körperzelle, sondern erst das durch den Zellkerntransfer entstandene Gebilde zu bezeichnen. Auch bei der Reprogrammierung ist nämlich zu fragen, ob die entstehenden Zellen totipotent sind, oder ob sie pluripotent bleiben.

 

Die kürzlich entwickelten Verfahren zur Reprogrammierung mittels Gentransfer verschiedener Faktoren zur Gewinnung sogenannter „induzierter pluripotenter Stammzellen“ (iPS) wird kein totipotentes Stadium erzeugt. Die gewonnenen Zellen ähneln in ihrem Genexpressions-Profil embryonalen Stammzellen und erfüllen alle Kriterien der Pluripotenz. Es gibt keinerlei Evidenz dafür, dass sich die iPS zu einer Blastozyste entwickeln könnten, wie das bei einem „Kerntransfer-Gebilde“ der Fall ist. Somit können iPS im Gegensatz zu diesen nicht als totipotent eingestuft werden.

Reproduktives Klonen mit reprogrammierten pluripotenten Zellen

Das reproduktive Klonen mittels Kerntransfer wie es bei dem Schaf „Dolly“ erstmals angewendet wurde ist sehr fehlerbelastet und wäre bei einer Übertragung auf humane Zellen noch weniger effizient, d.h. man müsste noch mehr Eizellen einsetzen als die 276, die bei der Erschaffung von Dolly benötigt wurden und müsste mit einer erheblich höheren Missbildungsrate rechnen. Somit ist das reproduktive mittels Kerntransfers zwar prinzipiell denkbar, praktisch aber weitgehend ausgeschlossen.

 

Reproduktives Klonen

 

Aus der Herstellung sogenannter „transgener Mäuse“ (vgl. Medizin-Nobelpreis 2007) ist ein besonderes Verfahren bekannt, in dem aus pluripotenten Stammzellen direkt Mäuse gewonnen werden können. Das Verfahren heißt „tetraploide Embryo-Komplementierung“ und beinhaltet, dass Zellen eines Spenderembryos fusioniert werden, so dass aus vier normalen Zellen, zwei Zellen mit doppelten Chromosomensatz werden. Diese können sich nur in die Hüllschicht des weiteren Embryos, nicht aber in dessen innere Zellmasse entwickeln.

 

Tetraploide Embryo Komplementierung

 

Komplementiert man nun diesen „tetraploiden Zellverband“ mit pluripotenten Stammzellen, entwickelt sich daraus eine Blastozyste mit einer inneren Zellmasse, die exklusiv aus den dazugegebenen embryonalen Stammzellen besteht. Die sich weiter entwickelten Mäuse bestehen also später alleinig aus Zellen, die von den dazugegebenen Stammzellen stammen. Dieses Verfahren funktioniert ebenso mit den induzierten pluripotente Stammzellen (iPS) der Maus. Somit ließe sich die iPS-Technologie über den Umweg „tetraploide-Embryo-Komplementierung“ recht einfach zum reproduktiven Klonen missbrauchen.

 

Eine Übertragbarkeit auf humane iPS ist prinzipiell gegeben, so dass mit diesem Verfahren die wesentliche Hürde des reproduktiven Klonens (die limitierte Effizienz des Kerntransfers) überwunden würde.

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